6- Buy & Hold oder Market Timing - was funktioniert wirklich?
Der Reiz des perfekten Timings – und warum er so verlockend wirkt
„Jetzt einsteigen oder lieber noch warten?“ – diese Frage begegnet uns in fast jedem Finanzforum, jedem Börsenratgeber, jeder Diskussion über Investieren. Der Gedanke dahinter ist nachvollziehbar: Wer den perfekten Moment trifft, kann mit wenig Einsatz viel erreichen. Unten kaufen, oben verkaufen – klingt doch genial.
Aber wir geben offen zu: Wir haben nie auf Timing gesetzt. Nicht, weil wir klüger oder cooler sind – sondern weil wir früh das Gefühl hatten: Das ist ein Spiel, das wir gar nicht mitspielen wollen. Zu viele Variablen, zu viel Ungewissheit, zu viele Emotionen. Und je mehr wir darüber gelesen haben, desto klarer wurde uns: Es ist gut, dass wir’s gar nicht erst versucht haben.
Market Timing klingt logisch – scheitert aber an der Realität
Market Timing bedeutet, den Markt „timen“ zu wollen – also seine Hochs und Tiefs vorherzusehen. Wer das schafft, kann fantastisch abschneiden. Das Problem: Kaum jemand schafft das zuverlässig.
Studien belegen das eindrucksvoll. Der SPIVA-Report (Standard & Poor’s Indices Versus Active) zeigt Jahr für Jahr, dass die Mehrheit aktiver Fondsmanager den Markt nicht langfristig schlagen kann – obwohl Timing ein Teil ihres Jobs ist. Noch deutlicher wird es in der bekannten DALBAR-Analyse: Durchschnittliche Anleger*innen erzielen über Jahrzehnte deutlich geringere Renditen als der Markt, weil sie zu oft ein- und aussteigen – oft aus Angst oder Gier.
Market Timing ist keine Strategie. Es ist ein Ratespiel – und das meist mit schlechter Trefferquote.
Buy & Hold – was es wirklich bedeutet
Buy & Hold ist das Gegenteil: Man kauft einmal – und bleibt investiert. Nicht, weil man stur ist, sondern weil man dem Markt vertraut. Genauer gesagt: Man vertraut darauf, dass die Weltwirtschaft langfristig wächst. Dass gute Unternehmen Gewinne machen. Und dass man davon profitieren kann – wenn man Geduld hat.
Die Zahlen geben dieser Haltung recht. Der MSCI World Index, der über 1.500 Unternehmen aus Industrieländern abbildet, hat über die letzten 50 Jahre eine durchschnittliche jährliche Rendite von ca. 7–8 % erzielt – trotz aller Krisen, Crashs und Katastrophen.
Buy & Hold ist keine Mutprobe. Es ist Vertrauen in das große Ganze – und die Entscheidung, langfristig mitzumachen.
Die verpassten besten Tage – was Timing kosten kann
Ein Rechenbeispiel, das uns bis heute begleitet: Wer im Zeitraum 1993–2022 im S&P 500 investiert war, erzielte eine durchschnittliche Rendite von 9,8 % pro Jahr. Wer aber nur die 10 besten Tage verpasst hat, fiel auf 5,6 %. Bei 20 verpassten Tagen sogar auf 2,9 % – und bei 30: gar kein Gewinn mehr.
Die besten Tage an der Börse liegen oft überraschend nah an den schlechtesten Tagen – weil starke Aufholbewegungen nach Crashs stattfinden. Wer also versucht, nach einem Absturz „sicher draußen zu bleiben“, verpasst oft genau den Aufschwung.
Nicht im Markt zu sein, ist oft riskanter als investiert zu bleiben.
Emotionen und Börse – eine gefährliche Mischung
Angst vor Verlusten, Euphorie bei Gewinnen, das Gefühl, „etwas tun zu müssen“ – all das ist menschlich. Aber genau das führt oft zu falschen Entscheidungen. Die Verhaltensökonomie kennt das gut: „Loss Aversion“ (Verlustangst) lässt uns Verluste doppelt so stark empfinden wie gleich hohe Gewinne. Und „Recency Bias“ führt dazu, dass wir jüngste Ereignisse überbewerten – zum Beispiel den letzten Crash.
Gute Geldentscheidungen brauchen klare Regeln – nicht spontane Bauchgefühle. Und genau deshalb ist Buy & Hold oft überlegen: Es nimmt die Emotion raus – oder zumindest an die Hand.
Wie wir Buy & Hold leben – unsere Regeln für langfristiges Investieren
Für uns war Buy & Hold von Anfang an der richtige Weg – nicht aus Mut, sondern aus Pragmatismus.
Wir haben uns ETFs ausgesucht, die zu unserer FIRE-Strategie passen. Die laufen in automatisierten Sparplänen, verteilt auf vier Zeitpunkte im Monat: am 1., 7., 15. und 23. So streuen wir auch den Einstieg ein wenig und vermeiden, „alles auf einmal“ zu investieren.
Wir beobachten den Markt kaum. Wir ändern selten etwas. Und das fühlt sich gut an.
Denn: Wir investieren nicht, um beschäftigt zu sein – sondern um irgendwann nicht mehr beschäftigt sein zu müssen.
Buy & Hold ist kein Dogma – Raum für Nuancen
Trotzdem heißt Buy & Hold nicht: Nie etwas anfassen. Natürlich passen wir unseren Sparbetrag an, wenn sich unser Einkommen ändert. Und natürlich werden wir in einigen Jahren umschichten und rebalancen – wenn wir der Entnahmephase näher kommen. Auch Rebalancing ist Teil einer guten Strategie.
Buy & Hold ist keine Einbahnstraße – sondern ein Kurs mit Leitplanken.
Fazit – warum Buy & Hold für FIRE mehr ist als eine Strategie
Für uns ist Buy & Hold nicht nur die sinnvollste Anlagestrategie – sondern die einzige, die sich mit Familienalltag, Arbeit, Kita und Leben vereinbaren lässt. Keine ständige Marktbeobachtung, kein „Was wäre wenn“. Sondern: Verlässlichkeit. Planbarkeit. Gelassenheit.
Und genau das brauchen wir auf dem Weg zur finanziellen Freiheit.
Wer FIRE will, braucht nicht die perfekte Prognose – sondern eine Strategie, die man durchhält.
Ausblick: Wie wir unser Depot aufgebaut haben – ein Blick hinter die Kulissen
Im nächsten Kapitel zeigen wir dir ganz konkret, wie unser Depot entstanden ist. Welche Überlegungen uns geleitet haben, warum wir auf Einfachheit statt Perfektion setzen – und wie unser Depot heute aussieht. Es wird keine Anlageberatung, sondern ein ehrlicher Einblick: Was hat für uns funktioniert, was war uns wichtig – und was würden wir vielleicht heute anders machen?
Wenn du dich fragst, wie man vom Wissen zur Umsetzung kommt, dann ist das genau dein Kapitel.