Kapitel 9

Frugalismus und FIRE

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Ein Traumpaar oder zwei verschiedene Welten?

Zwei Begriffe, eine Mission?

Wer sich mit FIRE beschäftigt – also dem Ziel, finanziell unabhängig zu werden und eventuell früh aus dem Erwerbsleben auszusteigen – stößt früher oder später auf einen zweiten Begriff: Frugalismus.

Beide Konzepte scheinen fast automatisch zusammenzugehören. „Wer FIRE will, muss frugal leben“ – so oder so ähnlich liest man es häufig. Auch wir haben das anfangs einfach übernommen. Doch irgendwann kam bei uns die Frage auf: Geht FIRE wirklich nur mit Konsumverzicht? Oder ist Frugalismus einfach nur einer von mehreren möglichen Wegen?

Mit diesem Artikel möchten wir diesen Zusammenhang einmal genauer anschauen – und dabei nicht urteilen, sondern einordnen. Denn Frugalismus ist kein Muss für FIRE, sondern eine individuelle Entscheidung. Und FIRE ist kein Wettbewerb, sondern ein Weg zu mehr Freiheit.

Was bedeutet Frugalismus wirklich – und was nicht?

Frugalismus ist mehr als Sparen – und ganz sicher nicht gleichbedeutend mit Geiz. Im Kern geht es darum, bewusst mit Geld umzugehen und konsumkritisch zu leben: nicht automatisch das zu kaufen, was gerade „im Angebot“ ist oder was andere besitzen, sondern sich klarzumachen, was wirklich wichtig ist – und was nicht.

Das bedeutet nicht, dass man auf alles verzichtet. Es heißt vielmehr: Ich spare an Dingen, die mir nichts bedeuten, damit ich mir das leisten kann, was mir wirklich etwas wert ist. Das kann für die einen ein gutes Essen sein, für andere Reisen, für manche Zeit mit der Familie – oder auch finanzielle Sicherheit.

Frugalismus ist kein Zwang, sondern ein bewusst gewählter Lebensstil. Und genau deshalb passt er für viele Menschen in die FIRE-Welt – aber eben nicht für alle. Wichtig ist: Frugalismus ist hoch individuell. Was für den einen nach übertriebenem Verzicht klingt, kann für den anderen völlig normal sein. Es geht nicht darum, möglichst wenig zu konsumieren – sondern so zu konsumieren, dass es sich stimmig anfühlt.

Warum viele FIRE-Anhänger:innen frugal leben – aber nicht alle

Viele FIRE-Menschen leben frugal, weil es schlichtweg praktisch ist:

Weniger ausgeben = mehr sparen = schneller unabhängig.

Gerade in den FIRE-Spielarten wie LeanFIRE oder CoastFIRE ist Frugalismus oft ein fester Bestandteil. Wenn man mit einem kleineren Budget gut klarkommt, braucht man weniger Kapital – und ist schneller frei.

Aber: Das ist nicht der einzige Weg. Manche verfolgen z. B. FatFIRE, bei dem ein hoher Lebensstandard auch nach dem Ausstieg erhalten bleiben soll. Das erfordert zwar mehr Kapital und Zeit – aber verzichtet bewusst auf Verzicht. FIRE ist kein geschlossenes System. Es ist ein Ziel mit vielen Wegen. Und Frugalismus ist nur einer davon.

Frugalismus als Booster für LeanFIRE & Co.

Ein Blick auf die Zahlen zeigt, warum Frugalismus für viele attraktiv ist:

Wenn man monatlich 2.000 € ausgibt und 1.000 € spart, braucht man nach der 4 %-Regel ca. 600.000 €, um finanziell unabhängig zu sein.
Gibt man nur 1.500 € aus und spart 1.500 €, reichen schon 450.000 € – und man kommt schneller ans Ziel.

Weniger ausgeben verkürzt den Weg zu FIRE doppelt:
Man braucht weniger Kapital und spart schneller an. Aber: Frugalismus hat auch seine Grenzen. Wer sich nur noch einschränkt und in jedem Latte eine Gefahr sieht, verliert schnell den Sinn hinter dem Ganzen. Freiheit durch Frugalismus funktioniert nur, wenn der Verzicht nicht belastet, sondern befreit.

Emotionale Seite: Verzicht oder Fokus?

Frugalismus hat nicht nur eine finanzielle, sondern auch eine emotionale Seite.

Für viele Menschen fühlt sich frugales Leben an wie Fokus statt Überfluss. Weniger Zeug, mehr Zeit. Weniger Verpflichtungen, mehr Klarheit.
Aber es gibt auch eine andere Seite: Phasen der Überoptimierung, in denen man sich selbst unter Druck setzt – jede kleine Ausgabe wird hinterfragt, jede „unnötige“ Investition mit inneren Vorwürfen begleitet. Der Frugalismus kann dann kippen und sich anfühlen wie ein ständiges Versagen.

Wir selbst hatten auch solche Phasen, in denen wir es vielleicht etwas übertrieben haben. Aber genau das ist Teil des Prozesses: Frugalismus ist eine Reise, kein Ziel. Man probiert sich aus, pendelt sich ein – und stellt mit der Zeit fest, was wirklich zu einem passt. Es ist auch ganz normal, dass sich das im Laufe des Lebens ändert. In manchen Lebensphasen fällt Sparen leicht und macht sogar Spaß – in anderen hat das Leben andere Prioritäten. Und das ist okay. Deshalb fragen wir heute nicht mehr: „Wie wenig können wir ausgeben?“, sondern:

„Welche Ausgaben bringen uns echte Lebensfreude – und welche nicht?“

Geht FIRE auch mit mehr Konsum?

Ja – FIRE geht auch mit Lifestyle.
Und das ist wichtig zu sagen, weil es viele Menschen abschreckt, wenn sie denken: Ich müsste dafür mein ganzes Leben umkrempeln. Modelle wie FatFIRE, CoastFIRE oder BaristaFIRE zeigen, dass man auch mit höherem Konsumniveau unabhängig werden kann – wenn man einen längeren Atem hat oder andere Ressourcen mitbringt (z. B. höheres Einkommen, Erbe, Immobilien).

Mehr Konsum heißt nicht automatisch mehr Verschwendung.
Oft geht es um bewussten Luxus: Zeit mit Familie, gutes Essen, Weiterbildungen, sinnvolle Investitionen. Dinge, die Lebensqualität schaffen – und nicht bloß Geld kosten. Auch das ist FIRE: Frei entscheiden, wie man leben will – mit oder ohne Frugalismus.

Fazit: FIRE braucht keine Schablone – sondern bewusste Entscheidungen

FIRE ist kein starres System.
Du brauchst keinen bestimmten Lebensstil, keine perfekte Sparrate und keine „richtige Art“, dein Leben zu gestalten. Was du brauchst, ist eine klare Vorstellung davon, wie du leben möchtest – heute und in Zukunft.
Frugalismus kann dabei helfen. Aber er ist ein Werkzeug, kein Maßstab.

Ob du viel brauchst oder wenig, ob du gerne sparst oder lieber anders investierst – entscheidend ist, dass dein Weg zu dir passt. Denn echte Freiheit entsteht nicht durch perfekte Zahlen – sondern durch authentische Entscheidungen.

Ausblick:

Und wie steht’s mit Minimalismus?
Viele verwechseln ihn mit Frugalismus – doch die beiden Konzepte unterscheiden sich. Im nächsten Artikel gehen wir der Frage nach: „Minimalismus & FIRE – ein anderes Traumpaar?“ Wir beleuchten, wo sich beide Lebensstile überschneiden – und wo nicht.

Hier geht es weiter: Minimalismus und FIRE